Wer Fuß- und Radverkehr wirklich wirksam voranbringen möchte, muss Verkehrs- und Stadtplanung zusammen denken. Wer Stadträume verändern möchte, braucht politischen Rückhalt und Mehrheiten. Wie gelingt dies? Wie kann eine ambitionierte Idee von Anwohnenden für Anwohnende im Einklang mit den Interessen einer Stadtgesellschaft gebracht werden? Wie werden streitbare Ideen kompromissfähig?
In Stuttgart wird dies mit dem Projekt Superblock West erlebbar. Der Verkehrsversuch ist ein innovatives städtebauliches Projekt, das darauf abzielt, die Lebensqualität der Anwohnenden zu verbessern und gleichzeitig umweltfreundliche Mobilitätskonzepte zu fördern. Die Idee für das „Superblöckle“ nach dem Vorbild Barcelonas kam Mitte 2020 von Anwohnenden und Mitgliedern des Vereins „Quartierswerkstatt Augustenstraße”. Hintergrund ist, dass viele städtische Räume in Stuttgart stark vom Autoverkehr geprägt sind.
Die Stadtverwaltung hat in Zusammenarbeit mit den Expertinnen und Experten vom Institut Stadt|Mobilität|Energie ein Konzept für den anderthalbjährigen Verkehrsversuch erarbeitet, welches die Bedürfnisse der Anwohnenden in den Mittelpunkt stellt. „Das Ziel des Verkehrsversuchs ist es, die Lärm- und Schadstoffbelastung durch eine Reduzierung des Durchgangsverkehrs zu verringern, Freiflächen zu schaffen und so die Straße zu beleben, die Lebensqualität der circa 3.000 Menschen im Quartier zu erhöhen und nicht zuletzt die nachbarschaftlichen Verhältnisse im Quartier zu verbessern“, berichtet Felix Märker von der Stadt Stuttgart. Am Fahrbahnrand wurde Platz für Außengastronomie, für Sitzgelegenheiten zum Verweilen und für Carsharing-Stellplätze geschaffen. Zusätzlich wird die Infrastruktur für den Radverkehr und zu Fuß Gehenden verbessert.
Unterstützt wird das Konzept von einer Bürgerinitiative, die eine entscheidende Rolle in diesem Prozess spielte. Sie ist nicht nur Initiatorin des Projektes, sondern unterstützt auch wesentlich in bei der Realisierung, etwa bei der Pflege der Bäume oder organisierte beispielsweise Informationsveranstaltungen, um die Anwohnenden über die geplanten Veränderungen zu informieren und deren Meinungen und Vorschläge zu sammeln. Ein wichtiger Baustein für die Akzeptanz des Verkehrsversuchs ist die Beteiligung aller relevanten Akteure, vor allem aber natürlich der Anwohnenden. „Uns ist dabei wichtig, dass alle die Möglichkeit erhalten, sich und ihre Wünsche sowie Anregungen oder Kritik zum Superblock einzubringen“, erklärt Karsten Hager vom Institut Stadt|Mobilität|Energie, das für die Beteiligung verantwortlich ist.
Der Superblock wurde offiziell am 4. Juni 2024 eröffnet und befindet sich derzeit in der Testphase. Während dieser Phase werden wo es technisch und zeitlich möglich ist Anpassungen vorgenommen, um die Aufenthaltsqualität weiter zu verbessern. Der Bezirksbeirat Stuttgart-West und der Gemeinderat stehen geschlossen hinter dem Projekt, was durch einen einstimmigen Beschluss im Gemeinderat bekräftigt wurde. Der Prozess dahin zeichnete sich durch einen offenen Austausch und einer konstruktiven Zusammenarbeit aus. Die Anwohnerinitiative Augustenstraße setzt sich dafür ein, dass der Verkehrsversuch zu einem dauerhaften Superblock ausgebaut wird. „Das Projekt zeigt eindrücklich, wie die Entschlossenheit der Bürgerschaft positiv für Maßnahmen der aktiven Mobilität genutzt werden kann. Mit Pragmatismus und Gesprächsbereitschaft wurden hier erste Schritte in die richtige Richtung unternommen. Das war heute eine tolle Schulung für Ratsmitglieder.“, resümiert Günter Riemer, Vorsitzender der AGFK-BW, am Ende der Exkursion.